an den neuen Routenführungen
Hinweis:
Auf dieser Seite möchte ich wesentliche Kritikpunkte an den Ergebnissen meiner Römerstraßenforschungen auflisten, die ich – zugegebenermaßen aus meiner subjektiven Sicht heraus – versuche zu entkräften. Obwohl auf die Mehrzahl der vorgebrachten Argumente bereits in den entsprechenden Abschnitten meines Buch eingegangen wurde, sollen sie hier in der Art einer Übersicht zusammenfassend vorgestellt werden.
Vorbemerkung
Als Historiker gehe ich nicht vom traditionellen, archäologieorientierten Forschungsansatz aus. Nach dem Motto: „Ad Fontes, zurück zu den Quellen“ konzentrieren sich meine Untersuchungen in erster Linie auf die Analyse und Auswertung der beiden Schriftquellen des Itinerarium Antonini und der Tabula Peutingeriana.
Beide Itinerare geben keine exakten Trassenverläufe wieder, sondern listen nur die lateinischen Namen von ausgewählten Straßenstationen und deren Distanzen zueinander auf. Weitere verwertbare Elemente sind in den beiden Quellen nicht vorhanden.
Archäologische Befunde sind für meinen speziellen Ansatz keine “Vorgaben” und haben deshalb bei den Lokalisierungen der Stationsorte und der Routenführungen zunächst keine Relevanz. (Auf diesen Punkt zielen die meisten vorgebrachten Kritikpunkte!)
Begründung: Es gibt in Bayern viele über die Archäologie gesicherte römische Straßenzüge und zweifelsohne noch weitere, die noch nicht erfasst wurden. Die Mehrzahl der archäologischen Funde römischer Straßenreste resultierte zunächst aus „zufälligen“ Entdeckungen, erst danach setzten die systematischen Grabungen ein. In den letzten Jahrzehnten wurden über die Grabungs- und Luftbildarchäologie viele neue römische Trassen erschlossen, es darf angenommen werden, dass ein Ende noch nicht erreicht ist.
Fazit: Solange Bayern nicht flächendeckend ergraben und archäologisch erforscht ist, können alle bisherigen archäologischen Befunde keinen absolut endgültigen Wissensstand bezüglich der Gesamtstruktur des römischen Straßennetzes wiedergeben. Aus der Tatsache, dass an einem bestimmten Ort (noch) keine Straßenreste gefunden wurden, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass es hier keine Straße gab.
Aus den einzelnen Kritikfeldern wurden die Argumente gebündelt und wegen ihrer allgemeinen Bedeutung werden sie hier ohne Namennennung vorgestellt.
Die wesentlichsten Kritikpunkte:
(1) „Auf keiner der beschriebenen Straßenverläufe wurden bisher römische Straßenfunde gemacht …“
In beiden schriftlichen Quellen werden keine exakten Trassenverläufe beschrieben, sondern nur die Namen der Straßenstationen und deren Distanzen zueinander angegeben. In meiner Arbeit werden deshalb auch nur die Namen der ermittelten Orte genannt und diese Orte in den Kartenskizzen schematisch mit einander verbunden. Gezielte Grabungen zur Feststellung dieser Trassen im Gelände wurden bislang noch nicht durchgeführt, da bislang noch keine Notwendigkeiten bestanden. Die Reste römischer Straßen und „Altstraßen“, beispielsweise bei Wasserburg, Isen, Pretzen, Unterschleißheim und Dachau, können durchaus als Indizien für meine Interpretation der Salzburg-Augsburg-Route gewertet werden.
Die gesicherte Trasse einer römischen Straße durch den Hofoldinger Forst ist für noch kein schlüssiger Beweis der Identität dieser Straße mit der Route eines der beiden Itinerare. (Siehe auch nächster Kritikpunkt.)
(2) „Der Autor hält archäologische Belege für viel unwichtiger als etymologische Namensähnlichkeiten …“
Archäologische Funde belegen für Gauting eine größere römische Siedlung an der Würm. Aber einen Beweis für Gauting als Station Bratananium der Tabula können sie per se nicht liefern. Zeugnisse einer römischen Siedlung gibt es seit den Grabungen von 2006/2007 auch im Raum Pretzen bei Erding. Eine Namenverwandtschaft von Pretzen mit Bratan(anium) haben etymologische Untersuchungen überzeugend belegt. Auch die Namenverwandtschaft von Isinisca/Isunisca mit dem Ort Isen an der Isen ist gesichert. Kleinhelfendorf (Isinisca?) kann für sich nur in Anspruch nehmen, an einer römischen Straße durch den Hofoldinger Forst zu liegen. Unbestritten ist dies jedoch nicht die einzige römische Straße in unserem Raum, wohl aber eine Straße, die bis dato durch viele Funde archäologisch gesichert ist.
Die Namenverwandtschaften der Orte Pretzen und Isen mit den lateinischen Stationsnamen sind nicht allein ausschlaggebend für ihre Lokalisierung als Straßenstationen der Itinerare. Als weitere wesentliche Indizien sind neben anderen (Siedlungsgeschichte etc.) die zielgerichtete Routenführung und die absolut stimmigen Distanzen im Itinerarium und in der Tabula zu nennen.
(3) „Der Autor konstruiert eine Lücke in der Tabula zwischen Bratananium und Urusa, um seine Routenführung zu rechtfertigen …“
Intensive Studien und Analysen ergaben, dass der Verfasser der Tabula in seiner Routendarstellung der Straße von Salzburg nach Augsburg nicht eine zielgerichtete und geschlossene Wegführung beschreibt, sondern sich diese Route aus den Segmenten von drei unterschiedlich verlaufenden römischen Straßen zusammensetzt. (Vgl. Abb. 18 und 19 im Buch oder Bild 3 hier auf der Seite „Materialien“.) Mit einer Übertragung auf eine moderne Landkarte kann diese Behauptung grafisch überzeugend dargestellt werden. Dabei wird erkennbar, dass zwischen den Stationen Bratananium (Pretzen) und Urusa (Eresing) eine oder zwei Stationen übergangen wurden. Da überdies nachgewiesen werden kann, dass beide Itinerare (zumindest bis Bratananium) dieselbe Wegführung von Salzburg nach Augsburg beschreiben, muss dieser Gabelungspunkt, wo die Tabula das Segment über Epfach/Abodiacum nach Kempten anfügt, auf der gesicherten Route des Itinerarium liegen. Als Gabelungspunkt konnte die Station Ambra (Dachau) des Itinerarium lokalisiert werden (Vgl. Bild 4 bei “Materialien”). Die Einfügung der Station Ambra in die Routenführung der Tabula erweist sich als überzeugend, deckt sich mit den Aussagen der Quelle und gibt der Tabula eine realitätsbezogene Aussage. Diese Einfügung ist keine willkürliche Konstruktion, mit ihr kann auch die scheinbar verwirrende Aussage der Tabula im Raum östlich von Augsburg erklärt werden.
(4) „Die als >Via Julia< bezeichnete römische Straße von Augsburg nach Salzburg ist archäologisch gesichert und in ihrem Streckenverlauf plausibel und stimmig.“
Die heute als „Via Julia“ bezeichnete römische Straße entspricht der Salzburg-Augsburg-Route der traditionellen Forschung, wobei nicht klar ist, ob damit nur die Trasse des Itinerarium oder auch ein Teilstück der Route der Tabula angesprochen wird. Die Trasse ist nur in Teilen (z. B. durch den Hofoldinger Forst) und keinesfalls auf der gesamten Route gesichert. Auf dieser Routenführung (ab Bedaium/Seebruck) sind weder die Zielrichtung, noch die Distanzen stimmig – es werden mehrere größere Korrekturen notwendig – auch können die Orte Helfendorf (Isinisca?), Gauting (Bratananium?) oder Urusa (Raisting?) keinerlei Namenverwandtschaften mit den Straßenstationen der Itinerare aufweisen. (Vgl. Bild 2 bei “Materialien”).
Diese „Via Julia“ ist zweifellos eine bedeutende römische Straße, nach meinen Untersuchungen ist sie jedoch nicht die in den Schriftquellen beschriebene Straße von Salzburg nach Augsburg.
(5) „Der neue Ansatz – statt archäologischer Zeugnisse topografische und etymologische Schwerpunkte – besticht zunächst durch Simplifizierung, er missachtet jedoch die bisherigen fundierten wissenschaftlichen Forschungen zu den römischen Straßen …“
Die Römerstraßenforschung ist in Bayern seit den wegweisenden Ergebnissen von Prof. Reinecke vor mehr als fünfzig Jahren nicht mehr grundlegend weiter entwickelt worden. Die Route über Rosenheim, Helfendorf und Gauting wurde zur gängigen Lehrmeinung und mit Blick auf die archäologischen „Belege“ wurden alternative Ansätze zurückgewiesen. Unbestritten ergab sich damit ein gewisser Forschungsstillstand, den ich mit meinen Untersuchungen aufbrechen wollte. Ein neuer Ansatz – weg von der Archäologiefixierung – erschien mir notwendig – das Ergebnis meiner langjährigen Forschungen war überraschend, weil es belegen kann, dass die „klassische“ Routeninterpretation nur in Teilen mit den Aussagen der beiden Itinerare übereinstimmt.
Das Postulat einer zielgerichteten, geradlinigen Trassenführung (orientiert an der „Ideallinie“) erscheint zunächst tatsächlich als „Simplifizierung“, sie entspricht jedoch den pragmatischen Grundprinzipien römischen Fernstraßenbaus, vor allem hier in dieser Grenzprovinz des Imperiums, wo schnelle, umweglose Verbindungen militärischen Forderungen und Notwendigkeiten entsprachen.
(6) „Tabula und Itinerarium enthalten zu viele Fehler in den Meilenzahlen. Die Distanzangaben sind keine zuverlässigen Kriterien für die Lokalisierung von Stationsorten.“
Frage: Könnten eventuell die Distanzen richtig und stattdessen die Lokalisierungen der Stationsorte, auf die Bezug genommen wird, falsch sein? –
Am Beispiel der Route von Salzburg nach Augsburg kann gezeigt werden, dass den „Urfassungen“ der Quellen zweifellos korrekte Distanzangaben zugrunde lagen. Für das Itinerarium Antonini (basierend auf der Edition von Otto Cuntz) sind für die neue Wegführung von Salzburg nach Augsburg keine Distanzkorrekturen notwendig. Dies kann auch für die von mir behauptete deckungsgleiche Route der Tabula Peutingeriana von Salzburg nach Augsburg über Wasserburg und Pretzen nach Hinzunahme der Station Ambra/Dachau des Itinerarium Antonini festgestellt werden. In der Tabula zeigt sich zwar ein Distanzunterschied in den Quellen zwischen Bedaium/Seebruck und dem Innübergang Ad Enum. Während das Itinerarium hier eine Entfernung von XVIII mp. angibt, nennt die Tabula nur XIII mp. Da die Stationen Pons Aeni des Itinerarium und Ad Enum der Tabula identische Orte sind, liegt hier zweifellos ein Abschreibfehler durch Weglassen einer Ziffer vor. Das Itinerarium nennt die nachmessbar richtige Entfernung von XVIII mp.
Dieser Sachverhalt – Abschreibefehler durch Weglassung einer Ziffer – tritt mehrfach im gesamten Untersuchungsbereich auf. Er kann in nahezu allen Fällen durch Nachmessungen zwischen gesicherten Orten oder Quellenvergleiche erkannt werden.
(7) „Der Verfasser unterstellt (bei seiner Route von Salzburg nach Augsburg), dass Bedaium und Abodiacum bzw. Avodiacum zweifelsfrei mit Seebruck bzw. Epfach gesichert sind.“
Richtig. Im Gegensatz zu anderen Orten, z. B. Pfaffenhofen, Kleinhelfendorf, Gauting oder Raisting konnten über detaillierte Untersuchungen keine Hinweise auf fehlerhafte Lokalisierungen durch die bisherige Forschung erkannt werden. Die Orte Bedaium/Seebruck und Abodiacum/Epfach sind in der Wissenschaft nicht umstritten. Die Stationen Abodiacum und Avodiacum der Tabula sind identische Orte, die unterschiedliche Schreibweise des Namens in der Tabula ist weniger als Abschreibefehler denn als Betazismus zu sehen.
(8) „Der Verfasser ignoriert die unmissverständliche Aussage der TA, dass die Straße von Salzburg nach Augsburg zuerst über Kempten und von dort nach Augsburg führt. Der erste Teil der Route verläuft demnach in direkter Linie entlang des Alpenrandes bis Kempten”
Ein erster Blick auf die Darstellung in der TA scheint dies zu bestätigen: Die TA gibt eine Gesamtlänge von 140 mp (210 km) an, die Luftliniendistanz misst ca. 200 km, die Länge dieser Queralpenstraße beträgt ca. 210 km.
Für eine solche Trassenführung entlang des Alpenrandes muss jedoch unterstellt werden, dass
– die TA auf dieser Route keine Fehler in den Distanzangaben enthält,
– TA und Itinerarium Antonini getrennte Routen zwischen Salzburg und Augsburg beschreiben. Die (gemeinsamen) Orte Bedaium, Ad Enum/Pons Aeni, Is(u)inisca und Av(b)odiacum/Abuzaco werden deshalb nicht als identische Orte angesehen.
– die in der wissenschaftlichen Forschung gesicherten Orte Bedaium/Seebruck und Abodiacum/Epfach an anderen Stellen zu lokalisieren sind.
Auf dieser Route und bei den hier lokalisierten Stationsorten kann keine Namenverwandtschaft oder –ähnlichkeit mit den lateinischen Stationsnamen der Quelle gefunden werden, auch die topografischen Fixierungen der Stationen sind nur schwer mit den römischen Planungsgrundsätzen (Raststationen an Kreuzungspunkten oder Flussübergängen etc.) zu vereinbaren, zumal hier die meisten Straßenstationen eher als Vermessungspunkte gesehen werden. Die wenigen archäologischen Funde können das Routenbild nur mühsam stützen, daneben zeigt die siedlungsgeschichtliche Entwicklung der Orte kaum Bezug zu der hier angenommenen römischen Fernstraße.
Zwischen Bedaium und Ad Enum gibt die TA als Distanz XIII mp an, auf dieser Queralpenroute beträgt schon die Länge der Ideallinie zwischen Kucheln/Grassau (= Bedaium 1) und dem Innnübergang bei Sinzing/Rohrdorf (= Ad Enum 1) etwa XV mp, die tatsächliche Weglänge dürfte damit mindestens XVII mp erreichen, d. h. eine strikte Übernahme der Distanzangaben zur Festlegung der Stationsorte ist deshalb nicht ohne Anpassungen möglich.
Eine Wegführung nach der alten Hauptstadt Kempten unterstellt der Tabula eine sehr frühe Entstehungszeit im 1. Jahrhundert, wogegen die Nennung von Stationsorten spricht, die nachweislich erst in späterer Zeit entstanden sind.
Nach den Erkenntnissen, die meine Untersuchung erbrachte, ist diese römische Queralpenstraße zwar eine durchaus diskutable, aber mit den Aussagen der Quelle nur schwer zu vereinbarende Auslegung der Salzburg-Augsburg-Route der Tabula Peutingeriana. Ein Vergleich mit dem Itinerarium Antonini, das ebenfalls die Orte Seebruck und Epfach enthält, kann belegen, dass die Tabula u. a. bereits zwischen Seebruck und dem (gemeinsamen) Innübergang einen Schreibfehler enthält. Eine (spätere) Verlegung der Stationen Bedaium, Abodiacum etc. unter Beibehaltung des Namens widerspricht der Praxis der damaligen Zeit. Dafür gibt es weder Analogien, noch Quellenbelege. Unterschiedliche Schreibweisen der Stationsnamen (Pons Aeni/Ad Enum oder Abodiacum/ Avodiacum) rechtfertigen nicht von vornherein unterschiedliche Lokalisierungen. Über etymologische, sprachwissenschaftliche und und topografische Analysen kann die Identität der Stationen gesichert werden.
(9) „Tabula Peutingeriana und Itinerarium Antonini sind als eigenständige Quellen zu behandeln. Sie beschreiben unterschiedliche Routen (beispielsweise zwischen Salzburg und Augsburg) und dürfen nicht vermischt oder zu Vergleichen herangezogen werden.”
Trotz der fehlenden „Verwandtschaft“ und der unterschiedlichen Entstehungszeit von Tabula und Itinerarium konnte ich nachweisen, dass beide Itinerare eine identische Route von Salzburg nach Augsburg beschreiben und auf dieser Route mehrere „gemeinsame“ Stationsorte aufgeführt sind. Die römischen Fernstraßen hatten eine lange „Lebensdauer“ und waren während der gesamten römischen Herrschaft in Benutzung. Ihre Entstehungszeit ist deshalb für die „Rekonstruktion“ der Routenführung nur von marginaler Bedeutung, wichtig war deren Existenz als solche. Nachgewiesene und in beiden Quellen verzeichnete Routen (z. B. von Regensburg nach Passau) erlauben durchaus Vergleiche und führten in mehreren Fällen zur Aufdeckung von Fehlern bei den Distanzangaben.
Quellenvergleiche sind Arbeitsgrundlagen für den Historiker. Die isolierte Betrachtung einer einzelnen Quelle vermindert deren Aussagewert, weil mögliche Fehler nicht ohne weiteres nicht erkannt werden können und damit die Gefahr von Fehlinterpretationen nicht auszuschließen ist.
Vgl. dazu die Tafeln 2 und 3 auf der Unterseite “Routenskizzen”
Die meisten der hier aufgeführten Kritikpunkte werden auch in meinem Römerstraßenbuch angesprochen. Dort finden Sie auch entsprechende Quellenangaben und Literaturhinweise.
Sind Ihre Kritikpunkte auch dabei gewesen? Wenn nicht, dann schreiben Sie mir. (Adresse bei “Kontakt”)
Selbstverständlich können Sie auch Zustimmendes übermitteln. Vielen Dank.